Erst letzten Freitag hat der Europäische Gerichtshof ein wegweisendes Urteil hinsichtlich der Bezeichnung veganer und vegetarischer Fleischalternativen gefällt und kaum eine Woche später sind sie da: Die neuen Leitsätze der Deutschen Lebensmittelbuchkommission für vegane und vegetarische Produkte mit Ähnlichkeit zu Lebensmitteln tierischen Ursprungs.
Während der letzten Debatte zur Reform der gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) im Jahr 2020 lehnte das Europäische Parlament einen Änderungsantrag ab, durch den Fleischbezeichnungen den gleichen Schutz erhalten sollten, wie Bezeichnungen für Milchprodukte.
Trotzdem hatte Frankreich 2022 ein entsprechendes Dekret erlassen, das Anfang 2024 nochmal verschärft wurde. In diesem werden Bezeichnungen wie „Steak“, „Schnitzel“ oder „Wurst“ für vegane/vegetarische Produkte, die eben diese speziellen Begriffe von Fleisch-, Wurst oder Fischwaren verwenden, ausdrücklich verboten (Décret no 2024-144). Die Vereinigung Protéins France, die European Vegetarian Union (EVU) und weitere Institutionen klagten gegen diese Regelung.
In dem Urteil des EuGH vom 4. Oktober – C-438/23 – geht es um die Frage, ob der französische Erlass aus 2022 im Einklang mit der Lebensmittelinformationsverordnung (EU) 1169/2011 (kurz LMIV) steht, welche die Vorschriften zur Lebensmittelkennzeichnung innerhalb der EU harmonisiert. Konkret bedeutet das: Ob Frankreich rechtlich die Benutzung bestimmter Bezeichnungen für pflanzliche Produkte verbieten darf, insbesondere solche, die üblicherweise für tierische Lebensmittel verwendet werden.
Gesetzliche Bezeichnungen erlaubt, Verbote nicht!
Nach der Entscheidung des EuGH können Mitgliedstaaten zwar gesetzliche Bezeichnungen festlegen, jedoch nicht allgemein den Gebrauch von üblichen oder beschreibenden Bezeichnungen für pflanzliche Produkte verbieten, wie es Frankreich im Erlass vorgesehen hat.
Der EuGH begründet dies damit, dass es zwar ein zulässiges und legitimes Ziel der Mitgliedsstaaten sei, rechtlich vorgeschriebene Bezeichnungen zu regeln, um die Verbindung zwischen einem speziellen Ausdruck und einem Lebensmittel herzustellen. Eine Regelung, die sich allerdings darauf beschränkt, die Verwendung bestimmter Begriffe zur Bezeichnung von Lebensmitteln mit spezifischen Eigenschaften (Zusammensetzung usw.) zu verbieten, sei jedoch nicht gleichbedeutend mit dieser Möglichkeit. Denn: Im Gegensatz zu einem Verbot zur Verwendung bestimmter Begriffe müssen Lebensmittel, für die eine Bezeichnung rechtlich vorgeschrieben wird, bestimmte Voraussetzungen erfüllen, damit sie überhaupt mit entsprechenden Begriffen bezeichnet werden dürfen.
Hat ein Mitgliedsstaat eine rechtlich vorgeschriebene Bezeichnung eingeführt, darf er die Hersteller von pflanzenbasierten Lebensmitteln nicht durch ein allgemeines, abstraktes Verbot daran hindern, übliche oder beschreibende Begriffe zu verwenden, um die Produkte korrekt zu kennzeichnen.
Imitatregelung auch für vegane Fleischalternativen?
Weiterhin stritten die Parteien darüber, ob die Regelung für Imitatprodukte aus Anhang VI der LMIV auch auf vegane Fleischersatzprodukte anzuwenden ist.
Die Regelung des Anhangs VI gilt es in den weiteren Kontext der LMIV zu setzen, namentlich Art. 7 Abs. 1 Buchst. d LMIV. Danach ist grundsätzlich verboten, bei Lebensmitteln eine Bezeichnung zu verwenden, die den Eindruck erweckt, eine bestimmte Zutat (Fleisch) sei enthalten, während diese tatsächlich durch eine andere (pflanzliches Protein) ersetzt wurde. In diesem Fall liegt eine unzulässige Irreführung vor.
In diesem Kontext liefert Anhang VI eine Lösung, nach der die fragliche Bezeichnung dennoch verwendet werden kann, obwohl die erwartete Zutat ersetzt wurde. Die Lösung besteht darin, der Bezeichnung einen Hinweis beizufügen, der die Ersatzzutat verdeutlicht. Ein Beispiel: Selbst, wenn die Bezeichnung „Wurst“ als solche das Vorhandensein von Fleisch vermuten lässt, könnte der Begriff „Sojawurst“ erklären, dass in diesem Erzeugnis Fleisch durch pflanzliche Proteine ersetzt wurde.
Wie die Generalanwältin in Ihren Schlussanträgen deutlich machte, ergibt sich die Anwendbarkeit der Vorschrift des Anhangs VI auf den Ersatz von Fleisch durch pflanzliche Proteine auch aus der Entstehungsgeschichte des Rechtsakts. Demnach hatte das Parlament seiner Zeit vorgeschlagen, entsprechende Produkte als „Lebensmittelimitat“ zu kennzeichnen, während dies vom Rat abgelehnt wurde. Für einen effektiven Verbraucherschutz wurde seinerseits vorgeschlagen, die konkrete Angabe der Ersatzzutat zusätzlich zur Bezeichnung des Lebensmittels anzugeben. In der endgültigen Fassung wurde die heutige Regelung getroffen, wonach die Angabe der Ersatzzutat in unmittelbarer Nähe des Produktnamens und in einer bestimmten Schriftgröße angebracht werden soll. Der Produktnamen ist in dieser Hinsicht im Sinne der Bezeichnung des Lebensmittels nach der LMIV zu verstehen (dazu EuGH Urteil vom 01.12.2022 – C-595/21).
Insoweit lautet die Antwort: Ja, Anhang VI der LMIV ist auch auf vegane Fleischprodukte anzuwenden. Die Regelung ist umfassend zu verstehen für Bezeichnungen solcher Lebensmittel, die suggerieren eine bestimmte Zutat sei vorhanden, die aber durch eine andere Zutat ersetzt wurde.
Die Regelung Frankreichs widerspricht nach Auffassung des EuGH gegen die Einheitlichkeit des EU-Rechts. Denn die französische Regelung legt fest, wie viel pflanzliches Eiweiß ein Lebensmittel enthalten darf, damit es bestimmte übliche oder beschreibende Namen wie „Wurst“ oder „Steak“ tragen kann. Damit wird praktisch die Nutzung dieser Namen geregelt, ohne dass diese eine offizielle gesetzliche Bezeichnung sind. Da Bezeichnungen bei ersetzenden Zutaten jedoch auf EU-Ebene einheitlich geregelt sind, darf ein einzelner Mitgliedstaat keine eigenen Regeln dazu machen.
Widerlegbare Vermutung bei Befolgung der LMIV
In dieser Hinsicht stellt der EuGH fest, dass das Unionsrecht eine widerlegbare Vermutung aufstellt. Danach wird vermutet, dass Informationen, die der LMIV entsprechen, die Verbraucher ausreichend schützen. Dies gilt auch für die Regelung ersetzender Zutaten in Anhang VI Nr. 4.
Das bedeutet, auch wenn ein Bestandteil oder eine Zutat vollständig ersetzt wird und entsprechend den Vorgaben darauf hingewiesen wird, dürfen diese Lebensmittel mit einer üblichen oder beschreibenden Bezeichnung, die bestimmte Begriffe wie „Wurst“ oder „Steak“ beinhalten, bezeichnet werden.
Widerlegt werden kann die Vermutung nach zutreffender Auffassung des EuGH etwa dann, wenn eine nationale Behörde der begründeten Auffassung ist, dass die Gesamtaufmachung des Lebensmittels im Einzelfall Verbraucher irreführen würde. Dies kann unserer Auffassung nach beispielsweise dann angenommen werden, wenn das Schriftgrößenerfordernis für die ersetzende Zutat nicht eingehalten wird oder in der Gesamtaufmachung der Eindruck erweckt wird, das vegane Produkt enthält (auch) tierische Bestandteile, etwa durch Abbildung eines Tieres auf der Verpackung.
Die LMIV-Regelungen schützen die Verbraucherinnen und Verbraucher umfassend. Auch in Bezug auf eine mögliche Täuschung durch die Verwendung von Bezeichnungen aus der Fleisch- und Fischbranche für pflanzliche Fleischalternativen.
Wagen wir einen Ausblick!
Frankreich könnte sich nach Abschluss des Verfahrens im nächsten Schritt dazu entscheiden, rechtliche vorgeschriebene Bezeichnungen für bestimmte Fleischprodukte, wie Steak, Schnitzel, Wurst & Co. einzuführen.
Der Bezeichnungsschutz dürfte dann ähnlich wie bei Milcherzeugnissen ausfallen.
Wie aus der Entscheidung des EuGH vom 14. Juni 2017 im Fall TofuTown – C-422/16 – bekannt ist, verstoßen Begriffe wie „Tofu-Butter“ oder „Veggy-Cheese“ oder „Pflanzenkäse“ gegen den Bezeichnungsschutz für Milcherzeugnisse.
Andererseits wurden in der Rechtsprechung in Deutschland und anderen Mitgliedsstaaten Bezeichnungen wie „pflanzliche Joghurt-Variation“ (Gerichtshof von’s Herthogenbosch (NL), Urteil 19. Dezember 2017) oder „vegane Käsealternative“ (OLG Celle,Urteil vom 23. Januar 2018 – 15 O 377/17) für zulässig erachtet.
Die Gerichte begründen dies in ähnlicher Weise. Im niederländischen Fall wurde hervorgehoben, dass die verwendete Wortkombination gerade nicht als Name, sondern als Kennzeichnung des Sojaprodukts verwendet wird. Die Bezeichnung hebe gerade hervor, dass es das Produkt eine Alternative zum tierischem Milchprodukt Joghurt sei.
Gleichermaßen stellte das OLG Celle klar, dass die Aufmachung nicht gleichgesetzt werden könne mit einer unzulässigen Bezeichnung als „Käse“. Denn mit der Aufmachung als „Alternative“ werde das Produkt in eine Beziehung zu dem Milchprodukt „Käse“ gesetzt und dabei komme hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass es sich eben nicht um Käse handelt, sondern eben gerade um eine Alternative dazu.
Im Zweifel ist damit zu rechnen, dass Fleischalternativen bald, ähnlich wie Milcherzeugnisse, in dieser Weise gekennzeichnet werden, etwa als „Wurstalternative aus Soja“ oder sich der Trend der Anti-Werbung auch hier fortsetzt. Dann heißt es wieder „Don’t call it Schnitzel“!
Und welche Auswirkungen hat das Urteil in Deutschland?
Auch hierzulande wird über Bezeichnungen für Fleischalternativen stark diskutiert.
In den Leitsätzen der Deutschen Lebensmittelbuchkommission für vegane und vegetarische Produkte aus 2018 wurde noch differenziert, wenn es um Fleischprodukte geht: „Vegetarisches Schnitzel auf Basis von Milcheiweiß“ oder „vegane Sojawürstchen“ werden als üblich und damit zulässig erachtet, während „vegetarisches Steak auf Erbsenproteinbasis“ oder die Bezeichnung als „vegetarische Salami auf Basis von Soja“ als unüblich eingeordnet werden.
Auch die neuen Leitsätze differenzieren weiterhin zwischen üblich und unüblichen Bezeichnungen. Allerdings soll danach die Bezeichnung als „veganes Steak“ tatsächlich möglich sein, jedoch mit der Einschränkung, dass sie eine weitgehende sensorische Ähnlichkeit zum in Bezug genommenen Lebensmittel tierischen Ursprungs aufweisen, insbesondere in Aussehen, Textur und Mundgefühl. Was unter „weitgehender sensorischer Ähnlichkeit“ zu verstehen ist, das geben die Leitsätze auch mit an die Hand: Dies meint, dass eine nahezu umfassende Ähnlichkeit bestehen muss.
Die Praxis wird zeigen, inwieweit die neuen Leitsätze dem EuGH-Urteil gerecht werden, an dem sie sich messen lassen müssen. Maßstab wird die Frage sein: Sind entsprechende Alternativprodukte tatsächlich „Imitate“ in Geschmack, Aussehen, Textur und Mundgefühl? Und sind das die Kriterien, die für die Einordnung als „Imitat“ heranzuziehen sind?
Nach den Leitsätzen gilt: Soweit kein „echtes“ Imitat eines Steaks vorliegt, dürfte dieses auch nicht als solches bezeichnet werden. Im Einzelfall könnte also eine Irreführung vorliegen, dann erachtet auch der EuGH eine Untersagung der Verwendung der Begriffe mit Fleischbezug für gerechtfertigt.
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